Digitale Identität(en)

Digitale Identitäten haben in der Regel zwei Komponenten, eine technische und eine inhaltliche. Die technische besteht im Wesentlichen aus einer digitalen Plattform, ein Spielesystem, ein soziales Netzwerk, der Login-Bereich einer Bank oder einer Versicherung. Das inhaltliche Element wird in der Regel vom Benutzer im Rahmen der dort gegebenen Möglichkeiten ausgestaltet. Dies kann stark eingeschränkt sein, indem die Plattform dies in engem Rahmen vorgibt (Banking, Steuer) oder einen breiteren Raum zur Schaffung einer Identität einräumen (Soziale Netzwerke, Foren).

Technische Identität

Technische Identität setzt, wie erwähnt, eine Authentifikationsprozedur voraus. Diese kann sehr unterschiedlich aussehen. Das Hochfahren eines Computers, der keinerlei Benutzernamen und Passwort verlangt, funktioniert dennoch mit einer Authentifikation. Die ist dabei meistens auf dem Gerät irgendwo fest gespeichert. Von dieser einfachen Form gibt es nahezu unzählige kompliziertere:

  • Benutzername und Passwort, E-Mail und Passwort etc. eventuell mit einem zweiten Kriterium im Rahmen eines Double Opt-In.
  • Identifikation durch einen technischen Code, eine technische Konstellation oder ein technisches Gerät (Dongle, Ausweis, Cookie, Fingerprint)
  • Biometrische Verfahren: Geschichtserkennung oder Fingerabdruck-Authentifizierung
  • Kryptologische Verfahren: Verwendung von privaten bzw. öffentlichen Schlüsseln oder etwa per Blockchain

Das größte Problem, das diese Verfahren haben, ist sicher zu stellen, dass die digitale Authentifizierung mit der Person korrespondiert, die in irgendeiner Weise legitimer Inhaber der digitalen Credentials ist. Dies versucht das Signaturgesetz/Vertrauensdienstegesetz zu lösen, ohne dass diese Verfahren sich wirklich als Standard bisher durchgesetzt haben.

Digitale Identitäten sind in der Regel an Systeme und Plattformen gebunden, die dem authentifizierten Benutzer einen Bereich, der Ressourcen hat, die er nutzen kann, überlassen. Innerhalb dieser Bereiche gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten. Während man in Plattformen wie Facebook oder Instagram persönliche virtuelle Profile mit Fotos, Selbstbeschreibungen und Kontakten erstellen kann, haben Identitäten im Online-Banking oder bei der Ticket-Buchung weniger Raum für persönliche Präsentation, sondern dienen in der Regel dem Zweck, wirtschaftliche Transaktionen zu ermöglichen.

Virtuelle Identitäten

Geht es um die Darstellung der Person in einem virtuellen, in der Regel digitalen Raum, spricht man eher von virtueller Identität. Hier gibt es ein breites Feld, das von dem Bemühen sich selbst richtig darzustellen bis zur Kreation gegensätzlicher Identitäten, Geschlechter etc. reicht. Hier wird auch die These von Erving Goffman, dass es eine einheitliche persönliche Identität nicht gibt, sondern wir, je nach Kontext unterschiedliche Identitäten erzeugen, interessant. Wir sind also alle Schauspieler, die keine eigene Rolle haben.

Die Zahl der Varianten virtueller Identitäten ist nahezu unendlich. Sie können in Geschlecht, Alter, Aussehen, Bildung, Wohnort, Temperament, Hobbies und vieles mehr variieren. Mit dem Avatar, der Symbolidentität des Selbst ist auch zur Norm geworden, dass sich die virtuelle von der persönlichen Identität regelhaft entfernt. Es ist nicht selten, dass man dort ein völliges Gegenbild von sich selbst erzeugt. Bis zu einem gewissen Grad hängt die Identität mit der Plattform zusammen, auf der sie erzeugt wird. So ist etwa im Gamer-Bereich der Typus der Identität und die Fähigkeiten der jeweiligen Figur stark durch das Spiel bestimmt, innerhalb dessen sie agiert. Vielleicht kann man diese Varianten grob in repräsentative und kommunikative Varianten unterteilen.

Folgt man diesem Gedankengang, ist eine Identität eher eine Art Utopie, der wir nachstreben und die wir vielleicht irgendwann realisieren können. Wir realisieren diese Identität als Selbstdarstellung, weil dies andere von uns erwarten. Hierbei ist es vielleicht interessant über den Begreiff “identifyer” nachzudenken (die Anregung dazu bekam ich von Hans-Gert Gräbe, Leipzig). Identifyer können hierbei im technischen Sinne vielleicht der Personalausweis oder der Instagramm-Account sein. Im sozialen Feld wäre es aber auch interessant, den Personenkreis als Identifyer zu erfassen, der der einzelnen Person eine bestimmte Rolle zuschreibt.

Auch Unternehmen haben digitale Identitäten, die Ähnlichkeiten mit den persönlichen haben. Sie präsentieren sich online mit einer Marketing-Strategie, einem Image bzw. ihren Produkten und Dienstleistungen. Im Zusammenhang mit der Personalgewinnung werden Arbeitgeber-Profile designt, die die Arbeit im Unternehmen attraktiv machen sollen.

Die interessante Frage bei beiden, den persönlichen und den korporativen digitalen Identitäten ist, wieweit diese mit den anderen Identitäten übereinstimmen. Hier gibt es mit Sicherheit ein großes Spektrum an Relationen. Bisweilen werden etwa Identitäten im Web, in den Social Media und im klassischen Marketing oder Identitäten als Arbeitgeber, B2B-Partner, Dienstleister und Produkthersteller von den Marketing-Abteilungen bewusst getrennt.

Identität und Identifyer im Marketing:

https://www.blueconic.com/resources/the-difference-between-identity-identifier-and-identity-graph

Erving Goffman, Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag, München 1969.

Weitere Identitäts-Themen:

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